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Schon mal probiert, einem x-beliebigen Besucherkind eine Insektenstichsalbe aufzutragen, oder ein Pflaster über harmlose Schürfwunde zu kleben? Nein?

Also: Der Besuch sitzt auf der Terrasse, die Eltern leicht angetrunken, die Kinder leicht gelangweilt auf dem Rasen, Sie schießen einen alten Ball über den frisch gemähten Rasen und ärgern sich heimlich darüber, daß sie nicht die Batman-DVD einlegen dürfen, die sie von Oma geschenkt bekommen haben. Dann passiert es: Eine bösartige Schnake erwischt den 8-jährigen Profifußballer, so er nach den Wünschen den Vaters gerät, in den Knöchel. Er kratzt sich und kreischt. Die Mutter knallt ihr Weinglas auf den Tisch, verschüttet ein bißchen, ignoriert all das und rast mit Tunnelblick auf den Sprößling zu. Der Vater stammelt in der Unterhaltung weiter, mit einem Auge beobachtend, was seine Angetraute mit seiner Brut anstellt. Die Mutter hat inzwischen rote Flecken im Gesicht, die Mitspieler scharen sich um den Verletzten und haben keinen Spaß mehr. Der Gestochene wird ins Bad getragen und dort wird der Stich inspiziert. Das Angebot der kinderlosen Gastgeber, eine kühlende Salbe aufzutragen, die schon millionenfach Kindern auf der ganzen Welt aufgetragen wurde, wird zum Schein angenommen. Das geht so: Die Mutter schaut schmachtend und leidend zum Gastgeber auf, drückt das verrotzte Kind an sich und macht hierdurch klar, daß sie jetzt lieber allein sein möchte. Dann wird die Salbe heimlich gedreht und gewendet, die Inhaltsstoffe gelesen, nach Allergietest gesucht, das Verfallsdatum gecheckt und: Nicht benutzt. Warum? Ich kenne keine Mutter, die auch nur die Hälfte des Alchimistenlateins auf einer Wundsalbe versteht, weil ich keine Apothekerin kenne, das Verfallsdatum ist nächstes Jahr und ein Allergietest von "Ökotest" findet sich nicht überall. Die Allerweltssalbe ist vollkommen in Ordnung für einen Mückenstich (!)  Ergo: Der kleine bekommt einen kalten Verband, darf nicht mehr mitspielen und die Mutter sucht nach der Tageszeitung, in der der Apothekennotdienst gelistet ist. Der Vater nörgelt die Mutter an, weil sie die Kinderallergieinsektensalbe vergessen hat, die Mutter wird noch röter, weil sie eigentlich denkt, der Vater hätte mal an die drohenden Verletzungen seines zukünftigen Torwarts denken können und die Unterhaltung beinhaltet fürderhin alle zwei Sätze die Frage: "Tut's noch weh, mein Spätzelchen?" 

Ich kenne auch die blaßrosa Rückenschürfwunde eines Mädchens, die sie sich vor lauter Ungeduld zuzog. Nachdem die Eltern Gesichter machten, als sei ein offener Bruch des Rückgrats vorgefallen, fing das Mädchen auch zu weinen an. Wieder die Verweigerung aller im Haushalt befindlichen Desinfektionsmittel, Pflaster oder Wundsalben. Die Gastgeber wurden angesehen, als hätten sie eine heimtückische Vergiftung des kleinen Scheißers geplant. Die Folge, die Dummheit des Mädchens wurde mit Schmuseorgien belohnt, zwei Stunden wunderbarer Sonntagnachmittag waren restlos verdorben. 

Wenn die Eltern so einen Wind um alltägliche Harmlosigkeiten machen, brauchen sie sich nicht zu wundern, wie zimperlich ihre Ableger werden. Die lernen, daß ein Stich eine echte Verletzung ist, daß ein Kratzer, aus dem Blut  läuft, nach Notaufnahme schreit und verlieren so langsam den Überblick, was ihr Körper eigentlich auszuhalten imstande ist. Eltern beglucken ihre Kinder und wundern sich, weshalb sie mit 25 immer noch zuhause wohnen und nicht in der Lage sind, sich selbstständig durch den Alltag zu schlagen. Wenn wer dauernd seine eigene Unersetzlichkeit gegen die Unwägbarkeiten und Risiken des gewalttätigen Lebens zelebriert, gibt's da nichts zu wundern. 

Wenn ich das nächste Mal sehe, wie sich ein Kind eine "Verletzung" zufügt, werde ich gleich sagen: "Reg dich nicht auf, reiß dich zusammen" und der Mutter werde ich gleich eins auf die Nase stüben, damit sie sich mit sich selber beschäftigen kann und deshalb gar nicht erst anfängt mit ihrem sorgenfaltigen Geglucke, oder einfach still am Tisch sitzenbleibt und sich erwachsen an der Unterhaltung beteiligt, wenn sie ohne Medikamente wieder aus ihrer Ohnmacht erwacht. Versprochen.