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Eine kritische Betrachtung der Mannigfaltigkeit an Gründen für das inflationäre Auftreten von Allergien.

 

Gibt es ihn noch, den Menschen, der gegen nichts allergisch ist?
Keine Pollen-, Nickel-, Milben- oder Haselnußallergie? Wo kommen die denn her. Frisch gefällt aus dem Regenwald wahrscheinlich. Dann warten wir halt noch ein bißchen.

Die Allergie an sich ist ein modernes Phänomen, das, manchen Spezialisten zufolge, durch den keimfreien Boden der Meister-Proper-Generation zu explosiver Vermehrung angeregt wurde. Früher waren die Kinder rotztriefende Dreckbatzen, die nur durch ihr penetrantes Geplärre als F1-Hybriden ihrer Eltern durch dieselben erkannt wurden. Heute sind sie mit eigenen Kinderkosmetikserien zugeschmierte, bewegungsarme Ballerspielkids, die schon im klappbaren Buggy mit Vollkornbiokekskrümeln im niedlichen Mundwinkel das Timing ihrer Teilzeitmammis gehörig durcheinander bringen.
Wer mit Biovollkorn groß geworden ist, reagiert natürlich auf Fast Food einer beliebigen Kette mit unappetitlichen Bläschen an den Lippen. Wer phosphatfreies Waschpulver im Babybettchen gewohnt ist, kann in keinem europäischen See baden, ohne von einer indiskreten Krankheit heimgesucht zu werden, die der eingehenden Untersuchung eines Proktologen bedarf. Wer den ganzen Tag mitsamt Playstation auf dem gebienenwachsten Korkfußboden des Kinderzimmers herumflegelt, fühlt sich freilich von den unartigen Haselpollen beschossen.

Aber man kann ja auch gegen Metalle oder Tiere allergisch sein.
Ein kurzer Blick in den Bekanntenkreis offenbart die Vielfalt: Die Katzenhaarallergiker dürfen im Wohnzimmer nicht auf die Couch, weil dort auch manchmal der fette Hauskater liegt, die Milbenallergiker schlafen auf der Luftmatratze und kriegen zur Strafe kein Kopfkissen. Die Nußallergiker kriegen keine Salzstangen, weil die neben den Ernußflips in der Schale liegen. Die Pestizidallergiker kriegen nichts vom Kuchen, weil der mit spanischen Erdbeeren vollgeschmissen ist und das Zaziki können sich die Milchallergiker noch nicht mal in die Haare schmieren, weil man Joghurt hierzulande aus Kuhmilch und nicht aus Soja macht.

Aber das sind ja noch die harmlosen, weil allgegenwärtigen Allergien.
Der Hypothesen tummeln sich gar viele auf dem Jahrmarkt der Allergiepäpste. Von den Dreckfetischisten, die gegen ungewaschene Hände beim Essen nicht viel einzuwenden haben, über die Fraktion der Sagrotantüchleinwedler bis zu den Umweltschattenboxern, die hinter jedem abgasenden Ottomotor einen getarnten apokalyptischen Reiter wähnen. Wirklich unterhaltsam sind eigentlich nur die sogenannten "Kreuzallergiker", die permanent von ihren eigenen Reaktionen überrascht werden. Haben Sie jemals eine verschniefte Parfümverkäuferin beim näselnden Abzählen des Wechselgeldes genau betrachtet? Ein tragisches Bild. Irgendwann wechselt sie ihren Job und findet heraus, daß sie mittlerweile nicht gegen Parfümduftstoffe sondern gegen Wechselgeld allergisch ist. Oder die durch Kamillebalsamtaschentücher ausgebeulten Hosentaschen eines Birkenpollenallergikers im April? Viele Nasenspülungen später wird sich durch den simplen Neukauf einer taschenlosen Hose das Problem von selber lösen, weil er sich nicht mehr die ganzen Hosentaschenfusseln in die Nase schmiert, übrigens völlig unabhängig von der Jahreszeit.

Der einsame Spitzenreiter bleibt aber bis dato das harmlos geplante griechische Essen mit einem Kollegen, bei dem man dem Versuch beiwohnen konnte, aus dem kroatischen Servierer herauszuquetschen, ob in der Mousse au Chocolat eventuell abfüllungstechnisch bedingte Haselnußreste zu finden sind. Einmalig. Man hätte eine Kündigung wegen Sprachallergie jederzeit rechtfertigen können

 Der Allergie an sich werden wir so nicht ganz gerecht.
Eine Allergie ist erstmal eine Autoimmunerkrankung. Will heißen, daß das Immunsystem gegen den eigenen Körper kämpft und einfach nicht weiß, wann es aufhören soll. Hat irgendwie keine Frustrationstoleranz. Ist verlorengegangen auf dem Schlachtfeld der bakteriellen Leichenfledderei.
Soviel zur professionellen, kongreßtauglichen Lesart.
Wer sich jemals vorgestellt hat, er sei selbst ein Immunsystem, käme auf folgende Hypothese:
Das Immunsystem hat in seiner keimfreien Langeweile erst mal so zum Spaß den Krieg erklärt und wartet auf den Feind. Weil der vielleicht nicht zu ihm findet in der gepflegten Umgebung muß nun das Immunsystem zur Erhaltung der Kampfkraft "So-tun-als-ob". Also zu Übungszwecken gegen leicht zu vernichtende Aggressoren kämpfen. Und hier kommen solche Pappkameraden wie Haselpollen gerade recht. Das fühlt sich an wie NATO-Manöver im Center Park. Man stellt sich vor, wie es wäre, kämen mal echt üble Feind-Keim-Bakterien. Solche Unappetitlichkeiten wie Chole-Malaria oder Dengue-Bola oder so was. Alle tot! 
Weit gefehlt.
Alle Allergiker werden überleben, weil sie bemundschutzt, mit latexfreien Handschuhen und temperierten Anzügen, deren Rohstoffe unter antibakterieller Atmosphäre gepflanzt, gepflückt und verschweißt wurden, sich fürderhin von vollmondabgefülltem Wasser und nußkatzenhaarbereinigten Früchteriegeln ernähren werden.
Auf einer Raumstation hoffentlich.

All-Ergiker.