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Irgendwann ist auf dem Weg zur Wörterverschandelung und Sprachpanscherei die falsche Treppe genommen worden. Das Wort „Wertschätzung“ ist in aller Munde. In der modernen Unternehmenskultur geistert dieses Wort seit einiger Zeit durch die Führungsetagen und wie das so ist mit den Geistern, die lassen sich nicht fangen, die meisten leugnen ihre Existenz und ihr eigentlicher Job ist: Spuken.

Nun ist es so, daß in unserer betriebswirtschaftsverseuchten Welt ein Wert in Währung ausgedrückt wird. Man geht mit seinem alten Auto zum Händler und läßt den Wert schätzen. Man geht mit Opas Taschenuhr auf eine Antiquitätenbörse und tut eben dieses. Wieviel ist das wert? In Euronen oder Dollar, umrechenbar wahlweise auch in Katzenfutter oder Tankfüllungen?

So kommen wir dem Kostüm dieses Gespenstes ein bißchen näher. Wieviel ist dieser Mitarbeiter wert? Verdient er tatsächlich seine 1.853,12 € Brutto? Oder ist seine Arbeit eigentlich nur 100,- Euro weniger wert, oder ochst dieser Blödmann tatsächlich so hart, daß man ihm eigentlich 200,- pro Monat drauflegen sollte. Als Zeichen der „Wertschätzung“? Das macht doch keiner. Wer so doof ist, und seinen Wert nicht kennt, hat keine Gehaltserhöhung verdient. Also tut man ersatzweise so, als hätte der Mitarbeiter auch noch einen weiteren Wert. Vielleicht kann der ja irgendwas, wofür ich ihn nicht bezahle? Wenn jetzt nett gegrinst wird, verrät der seine Idee, mit der andere glänzen können? Macht er einen Verbesserungsvorschlag, den ich nicht honorieren muß? Der schiere Humanismus gibt sich ein Stelldichein und stürzt beim Fensterln ab.

Wertschätzung ist ein Wort, daß am besten dadurch mißverstanden wird, als man lernen sollte, daß auch ein Mitarbeiter ein Mensch ist. Möglicherweise sogar mit Eigenschaften, von denen das Unternehmen profitiert. Die Vorgesetzten sollen lernen, daß man einen Hausboten auch mal grüßen kann, so als Zeichen der Wertschätzung. Und idealerweise hat dieser Hausbote auch einen Namen, den man bei jährlichen Mitarbeitergespräch aus der Personalakte auch mal üben kann. Fünf Minuten vorher. Daß der Name falsch ausgesprochen wird fällt ja gar nicht auf, weil die arme Socke so die Hosen voll hat vor einer schlechten Beurteilung, daß sie lieber die Klappe hält. Nur: Diese arme Socke wird sich das merken. Und das kann die Motivation, die eh schon im Keller neben dem Lachen liegt, doch ein bißchen beeinträchtigen. 

Kehren wir zurück zur Betriebswirtschaft. Heutzutage werden Menschen ab 50 und aufwärts relativ schnell dem Markt wieder zur Verfügung gestellt, wie es so jugendwahnsinnig zynisch heißt. Da rechnet irgendein Depp herum, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer längeren Krankheit oder einer Kur ist, hält das Einkommen dagegen und schwupp, raus damit. Der wohlgenährte Entscheider nimmt sich natürlich aus und klebt mit Ende 50 immer noch am Sessel, vollständig unbeleckt von solchen Störfaktoren wie Selbstbetrachtung. Damit lernt der Mitarbeiter, daß seine Gesundheit und die Jugend ein Wert ist/war, für den er nie bezahlt wurde, den niemand benannt hat, aber der jetzt wichtig ist. Jetzt, wo ein Faktor sicher, der andere nur statistisch flöten geht. Ja warum sagt einem das denn keiner? Der 25-jährige Kreuzbandriß aus dem Archiv ist genauso lange weg wie die Hämorrhoidentelefonistin von der Rezeption. Nur ist die halt schon 53 und deshalb zählt das anders. Multipliziert hier einer heimlich? Das ist ja ganz großes Einmaleins.

Und bis sie gefeuert wird, weil sie solche Probleme hat, ist sie artig einmal pro Woche echt wertschätzend vom Vorgesetzten gelobt worden. „Leider hat es die Beschaffungsabteilung im dritten Jahr wieder nicht geschafft, einen vernünftigen Stuhl zu kaufen, aber echt prima, wie Sie so elegant den Hörer auflegen, Frau Mützenbichl.“ Geschenkt.

Urlaube und Krankheitszeiten sind die letzte Prüfung für den modernen Vorgesetzten. Da wird hemmungslos zuhause angerufen wegen irgendwelcher Kinkerlitzchen, die private Emailadresse für Aufträge genutzt und hinterher sagt keiner „Entschuldigung“ oder „Danke“. Die Wertschätzung liegt in dem Gefühl für den Mitarbeiter echt gebraucht zu werden. Man könnte auch „benutzt“ sagen, und diese Überleitung ist zu gelungen:

Vor kurzem war in der Zeitung in einer „Führungsbeilage“ zu lesen, daß die Bereitstellung von Klopapier auch einen wertschätzenden Umgang mit dem Mitarbeiter darstelle und deshalb an dieser Stelle bitte nicht gespart werden sollte. Na da sind wir aber dankbar. Alles für den Arsch.