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 Denk ich an Weihnachten, denk ich an Lieder. „Ihr Kinderlein kommet" und „Stille Nacht, heilige Nacht", so wie es die Kirchenchöre singen, spätabends in der Mette. Oder wie es auf den Weihnachtsmärkten aus den Lautsprechern dröhnt oder zischt, je nach Wetterlage. Ich denke an die amerikanischen Weihnachtslieder in allen Radiosendern. Unausweichlich, auswendig kann ich sie spätestens am zweiten Advent. Oder schon früher, heimlich.

Überall riecht es gut, es ist bunt, es glitzert und leuchtet, verheißungsvoll gemütlich.

An Weihnachten feiern wir das Fest der Liebe und des Friedens. Ja, stille Nacht.

Schön wär's.

Eigentlich hat Jesus Geburtstag am 24. Dezember. Das ist der einzige Grund gewesen, Weihnachten zu erfinden. Vielleicht ist das ja gelogen und die Kirche hat sich in der Not irgendeinen Tag ausgedacht, weil es keinen Menschen gibt, der KEINEN Geburtstag hat. Und damit das Volk plastischer glauben kann, hatte dieser Jesus halt auch mal.

Er ist geboren in einem Stall, zwischen Stroh und Tieren, ein Kind der Liebe, das den Frieden bringen sollte. Arme Sau.

In der heiligen Nacht.

Er hat es nicht geschafft.

 

Für andere ist es in erster Linie auch deren Geburtstag und dann erst Weihnachten.

Sissi zum Beispiel, ein Weihnachtskind von 1837, ohne Stall und Tiere. Oder Ava Gardner, 1922 unverpackt auf die Welt gerutscht und danach jahrelang feuchter Männertraum gewesen, nicht nur an Weihnachten. Der einzige deutsche Schachweltmeister Emanuel Lasker, 1868 oder Ricky Martin, ein Schnulzensänger, der lebt aber noch, der ist erst 41.

Die feiern an Weihnachten doppelt und nicht still. Oder nicht? Oder nur sich selbst.

Wer einen anderen Glauben hat, der feiert gar nicht, sondern geht arbeiten. Viele müssen an diesem Tag arbeiten, obwohl sie Christen sind und eigentlich feiern sollten. Die meisten wollen wir gar nicht sehen, Ärzte, Polizisten, Rettungssanitäter. Hoffentlich brauchen wir die nicht. Aber gut, daß sie da sind.

Jaja, stille Nacht.

 

Der 24. Dezember hat genauso 24 Stunden wie jeder andere Tag im Jahr. In diesen Stunden werden, vielleicht wie an einem normalen Tag – rein statistisch - 1.550.283 Menschen auf der Welt geboren, und 2,24 Morde in Deutschland begangen. Brasilien bringt es auf 150 Morde pro Tag und Samsung verkauft im Schnitt 190.000 Galaxy S3. Damit kann man ja vielleicht die 1.300 Hochzeiten festhalten, die so ein Tag bringt. Die Feste der Liebe und der Hoffnung und der gemeinsamen Träume.

Jaja, stille Nacht.

 

An Weihnachten bringen sich viele Leute um. Oder wollen zumindest jemanden umbringen, Ehepartner meistens, weil der Adventsstress, angestaut, sich am häßlichen Geschenk entlädt und die Kinder wieder falsch singen. Und weil die Schwiegereltern zwar Gäste, aber sich dennoch wie Haustyrannen benehmen. Und weil die scheiß Wiener Würstchen geplatzt, der Christbaum schief und der Fick in der letzten Nacht schon wieder hundsmiserabel war. Weil man sich anstrengen muß, freundliche Gespräche zu führen und nicht zu viel saufen darf, weil die Bagage später in die Kirche gefahren werden möchte. Dort predigt ein Pfarrer von christlicher Nächstenliebe und es fällt einem ein, daß heute - wie an jedem Tag - wieder sieben Frauen vergewaltigt und 240 Kinder mißbraucht werden. Und da vorne steht ein Betrunkener in der Kutte und lallt.

Jaja, stille Nacht.

 

Johannes Heesters und Peyo, der Erfinder der „Schlümpfe" sind an Weihnachten gestorben. So wie es in diesen 24 Stunden elf weiteren Menschen gehen wird, die auf den Straßen unterwegs sind. Vielleicht auf dem Rückweg vom Geschenkekaufen oder auf dem Hinweg zu den Wiener Würstchen. Aber vielleicht ist das ja auch gelogen, so wie tatsächlich jeder von uns ob Mann oder Frau pro Tag ca. 200 Mal lügt. Gemessen an den 20.000 Entscheidungen, die wir angeblich jeden Tag treffen, eigentlich wenig.

Entscheidungen, wie Weihnachten verbracht wird, werden in der Adventszeit getroffen. Und wieder verworfen. Und wiedergekäut, diskutiert, erstritten, wir schreien und schweigen, schmollen und geben nach. Es muß ums Verrecken schön werden. Irgendwie.

Jaja, stille Nacht.

 

Und wenn diese ganzen Erwartungen nicht wären, hätten wir eine echte Chance. Wir laden Familie oder Freunde ein, oder bleiben allein. Wir schenken oder schenken eben nichts. Wir singen Weihnachtslieder oder erzählen irische Saufgeschichten. Wir essen mit Freunden unter dem undekorierten Weihnachtsbaum Käsebrot mit Rührei. Oder sitzen an einem saukalten Seeufer mit allem was wir anziehen können, bis wir aussehen wie ein Michelin-Männchen, und warten auf Sternschnuppen. Wir könnten mit einem Teelicht in der Hand einen Spaziergang machen und in die bunten Fenster „Fröhliche Weihnachten" hineinrufen. Wir könnten auch einfach friedlich ein wunderbares Fünf-Gänge-Menü köcheln und uns ehrlich beschenkt fühlen. Weil wir nicht nur an Weihnachten, sondern das ganze Jahr über die Liebe und den Frieden nicht aus den Augen verloren haben.

Und vielleicht verstehen wir dann, was dieser Tag eigentlich soll.

Und dann denken wir an Jesus, trinken für ihn, prosten ihm zu und sagen „Glückwunsch zum Geburtstag, du alter Haudegen."

Jaja, stille Nacht.