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Generation X, No-Future-Generation, Senioren? Hier kommt ein Statusbericht über die dazwischen. Die Fünfzigjährigen. Wie sind die so?

 


Wir haben in der Schulzeit Mao-Tse-Tung gesungen und sind uns rebellisch vorgekommen, haben Abitur gemacht in einer Zeit, die sich den Anstrich einer Modernen gab. Hoffnungslos verstaubt im Vergleich zu heute. Wir glaubten an Emanzipation, an die Langweiligkeit von LSD und daran, daß wir alle einmal genug Geld haben würden, zweimal im Jahr in Urlaub zu fahren. Wir studierten in Städten, die einen anerkannt hohen Freizeitwert hatten und nicht in denen, die bei den Uni-Rankings ganz weit vorne lagen. Nicht bei den berühmten Profs mit vielen Veröffentlichungen oder Ämtern in der Politik, sondern bei dem, der die längsten Haare und die verrostete Ente fuhr. Was eine Ente ist? Das ist eine Art Auto, das es erlaubt, von A nach B zu kommen, ohne jemals präzise Zeitangaben darüber machen zu können, wann das sein wird. Das Ankommen.
Die Profs hatten Frauen, die häßliche Schuhe trugen, sie selber trugen Cordhosen und bekannten sich öffentlich zu ihrer Vorliebe zu bestimmten Winzern. Die Rasenflächen vor der Mensa wurde zum Freiluftaudimax und wer rauchen wollten, durfte das auch. Heute ist es eher so, daß man sich in den teuren Klamotten nur auf einer teflonbedampften Picknickdecke auf dem Rasen niederläßt und sich danach die Hände gründlich wäscht, denn es könnten Insektizide am Gras gewesen sein.
Wir haben Abitur gemacht in einer Zeit, als es die geheimnisumwitterten "Informatik-AGs" gab. Da waren zwei, drei spinnerte Jungs, die sich mit dem zauseligen Mathelehrer, der frisch aus dem Referendariat geschlüpft war, um den einzigen Computer versammelten und merkwürdige Zahlenreihen zu entziffern wußten, die wir nur aus Science-Fiction-Romanen um extraterrestrische Intelligenz kannten. Kann man sich wirklich in Null und Eins verständigen? Unrettbar. Hat keine Zukunft. Wir sollten uns alle täuschen. Wir durften uns damals noch aussuchen, ob wir an eine Tastatur gehen. Wir durften auch noch so tun, als bekämen wir Fingerkuppenkrätze davon. Wir glaubten damals noch, wir könnten uns aussuchen, ob wir jemals mit einem Computer arbeiten wollen. Oder ohne.
Wir waren stolz, wenn wir unsere Geschichtsreferate auf einer IBM-Kugel-kopfmaschine schreiben konnten, die unsere Mutter aus dem heimlichen Abschreibungsfundus ihrer Firma retten konnte. Die anderen schrieben noch mit der Hand. Wir waren die modernen.
Ob wir es besonders schwer hatten? Nur weil wir den überwiegenden Teil des Schulwissens nicht gebrauchen konnten, weil uns kurz nach dem Abi die Technik rechts überholte und auch das Studienwissen sich in wenigen Jahren radikal ändern würde? Was soll’s. Wenn wir das einem heute Zwanzigjährigen erzählen, drückt er uns zum Thema "schwer haben" mitleidig eine Internetadresse in die Hand, in der Trümmerfrauenberichte stehen, wollen wir wetten? Lieber nicht. Er sms-st sie eher. Wette verloren. Mit der Hand schreibt heute keiner mehr. Zumindest nicht mit einem Stift auf Papier. Heute gibt es auch Achzigjährige, die sich durch die Welt mailen. Dieses Wort gab es noch gar nicht als wir 20 waren.
Wir studierten in dem festen Glauben an Emanzipation, bloß weil die Sekretärin den Prof duzte. Heute wissen wir, daß er sie wahrscheinlich mal vögeln durfte auf einem Fakultätsball und daß dieses Gleichberechtigungsgeschwafel dasselbe wie damals ist: Geschwafel. Wir haben seit 20 Jahren versucht, einigermaßen Karriere zu machen und wissen heute, daß wir noch unsere Enkelinnen ermuntern werden müssen, damit sie nicht gegen Jungs aufgeben. Zu viele alte dumme Männer treiben sich noch immer auf den wichtigen Posten herum, zu viele dumme Frauen bändigen ihre Töchter mit falschen Friedensermahnungen. Zu viele sind auf dem Weg stehengeblieben, der so hoffnungsvoll aussah Anfang der 80-iger Jahre im letzten Jahrhundert.
Wir haben angefangen in irgendwelchen schlecht bezahlten Jobs, haben den ersten unbefristeten Arbeitsvertrag mit Mitte Dreißig in der Tasche gehabt, haben Kinder in die Welt gesetzt, verzogen und unsere erste Ehe wegen der beruflich geforderten Mobilität in den Sand gesetzt. Wir haben Häuser gebaut, Wohnungen renoviert und sind nach zwei Jahren wieder woanders hingegangen. Wir sind um die halbe Welt gereist und haben gelernt, daß man jemanden als „Freund“ bezeichnet, den man nur von einem Foto im Internet kennt.
Der Grat ist schmal zwischen Kluft herbeischreiben und Graben ausleuchten. Wie sind wir jungen Fünfziger drauf? Wir sind die, die durch den Park joggen, weil wir eine Scheißangst vorm Sterben haben. Weil wir trotz unserer geistigen und körperlichen Gesundheit immer nur 30-Jährige vor die Nase gesetzt kriegen und dazu verdonnert werden, die letzten zwanzig Jahre unseres Arbeitslebens auf der Stelle stehen zu bleiben. Wir können keinen Grund mehr finden, ehrgeizig zu sein. Man kann jetzt nichts mehr werden, was man nicht schon ist?